Trotz vieler Bekenntnisse geht der Flächenverbrauch weiter – insbesondere in den Ballungsräumen Karlsruhe, Stuttgart, Mannheim und an deren Peripherie wird Landschaft verbraucht. Ganz aktuell hat jetzt der Kreis Ludwigsburg die Thematik aufgegriffen und im Rahmen des 5. Demografieforums am 20.02.2014 in den Focus gestellt.
„Die Diagnosen für den Patienten Landschaft sind längst erfolgt, die zur Gesundung notwendigen Therapien definiert, doch unsere Gesellschaft in der gesättigten Region Mittlerer Neckar verhält sich, als wäre der Patient ein vitaler Hochleistungsathlet“. Mit diesen Worten appellierte Claus-Peter Hutter, Leiter der Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg beim Demografieforum im Kreishaus Ludwigsburg an Kommunal- und Regionalpolitiker sowie an die Entscheidungsträger in Verwaltung, Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Bereichen, die eigenen Nachhaltigkeitsziele im Auge zu behalten und für kommende Generationen nicht noch mehr unbezahlbare Hypotheken in Sachen Landschaftsverbrauch anzuhäufen. „Wider besseren Wissens zerstören wir, was wir lieben und bekommen, was wir eigentlich gar nicht wollen“, sagte Hutter und beklagte die Diskrepanz zwischen Sonntagsreden für Naturbewahrung und Landschaftsschutz einerseits und dem „Werktagsverhalten“ der Entscheidungsträger andererseits. Der Flächenverbrauch im Land von rund 6,7 Hektar am Tag müsse eigentlich alle Alarmglocken läuten lassen. Schon das großflächige Verschwinden von mehr als der Hälfte der noch vor 20 Jahren etwa in der Region Stuttgart beheimateten Vogel-, Amphibien-, Reptilien- und Schmetterlingsarten und das Zusammenschrumpfen erlebenswerter Landschaft auf wenige Restflächen müsste längst Signal genug sein, dem ungezügelten Landschaftsverbrauch einen Riegel vorzuschieben.
Der Akademieleiter erinnerte an die vom damaligen Ministerpräsidenten Günther Oettinger als Zielvorgabe beschriebene „Netto-Null“ in Sachen Landschaftsverbrauch, welcher von allen Parteien dem Grunde nach mitgetragen oder zumindest nicht widersprochen wurde.
Auch wenn gegenwärtig durch Zuzug eine starke Nachfrage nach weiteren Bau- und Gewerbegebieten im mittleren Neckarraum bestehe, sprächen sämtliche demografischen Prognosen mittel- bis langfristig eine andere Sprache. Während man immer noch auf der grünen Wiese und fruchtbarstem Ackerland den Boden versiegele und die Gemeinden längst über ihre kaschierbaren Tallagen und ökologischen Schamgrenzen hinausgewachsen seien, würden in vielen Kommunen innerörtliche Lagen vergammeln, ausbluten und Gewerbebrachen ungenützt bleiben. Obwohl längst wissenschaftlich bewiesen sei, dass Einwohnerwachstum nur kurzfristig helfe, Löcher in den Kommunalkassen zu stopfen und erhebliche finanzielle Folgelasten mit sich bringe – die mit noch mehr Landschaftsverbrauch verbunden sind – würde in fast allen Abwägungsfällen gegen den Landschaftserhalt und damit gegen die Lebens- und Umweltqualität der Bürger von morgen entschieden. „Müssten die schon jetzt absehbaren Folgen und deren Kosten versichert werden, hätten Allianz, Münchner Rück und andere Versicherungsgesellschaften längst schon den meisten Verantwortlichen die Policen gekündigt“, unterstrich Hutter im Hinblick auf die zahlreichen Planungen für Wohn- und Gewerbesiedlungen sowie Straßenbauten.
Gehe die Entwicklung so weiter, wäre einer der wichtigsten Standortfaktoren der Region, nämlich wohnsitznahes Grün und Landschaftserlebnis in abwechslungsreichen Gegenden für immer verspielt. „Bald bewegen wir uns nur noch zwischen Betonklötzen, Asphaltflächen, und die Siedlungen wachsen zu einer austauschbaren Urbanstruktur zusammen, wie man sie gesichts- und charakterlos überall auf der Welt finden kann. Mit jeder Maßnahme gehen Alleinstellungsmerkmale und weite Standortvorteile verloren. Wenn manche hochqualifizierten Fachkräfte, die man in die Gegend locken will, wüssten, wie sich die Landschaft den Planungen nach entwickelt, würden sie bestimmt nicht hierher ziehen“, so Hutter. Nachhaltige Entwicklung benötige aber eine Ausgewogenheit zwischen Ökonomie sowie sozialen und ökologischen Erfordernissen. Trotz klarer Gesetzeslage und ausreichend belegten Forschungsergebnissen werde nicht einmal der Versuch einer Balance im Sinne der Verantwortung von kommenden Generationen gemacht. „Das Schlimmste daran ist die Tatsache, dass wir mit jedem Landschaftseingriff unsere eigene Heimat und damit neben Gesundheit und Familie das Wichtigste, was wir haben, verlieren“, betonte Hutter.
Die einzige Lösung zur Eindämmung des Landschaftsverbrauchs, zur Vermeidung von Altlasten für morgen und des Verlustes von Heimatidentität heiße „Maßhalten“.
Ihre Ansprechpartnerin: Brigitte Schindzielorz
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Ein Beispiel für viele – hier wird schon seit Jahren für Gewerbebauplätze geworben